Hedwig Rost
zur Eröffnung der Ausstellung in der Jakobuskirche
Pullach 2004:

JOSEPH

Joseph war ein Träumer. Er war nicht kantig und lebenspraktisch wie seine Brüder. Vielleicht hatte er zarte Hände, vielleicht weinte er leicht und hatte tiefliegende Augen.
Wir sehen hier Bilder ohne scharfe Konturen. Sie brauchen einen weichen Blick. Sie erschließen sich nicht gleich. Man kann sie nicht übersetzen in das, was sie „bedeuten“. Sie bedeuten nichts, wollen keine Botschaft vermitteln. Man muss sie wirken lassen, dann beginnen sie zu sprechen. Wie Träume eben. Sie haben unscharfe Ränder, verschwimmen, überlagern sich, sind vielschichtig im wahrsten Sinne des Wortes. Sie wahren zumeist ihr Geheimnis und doch können sie fesseln, sind spannend.
Joseph war anders als seine Brüder und dachte sich nichts dabei. Er war der Jüngste, bis Benjamin geboren wurde. Er hatte keine Scheu, ihnen seine Traumbilder mitzuteilen – in aller Arglosigkeit. ...

Die Josephgeschichte bekommt durch die Brüder ihre Schattenseite. Das Böse, die Konfrontation mit dem Schatten ist notwendig, damit Josephs Lichtgestalt sichtbar wird. Wir sehen hier Hell-Dunkelmalerei, teilweise zerrissene, zerklüftete Flächen, dunkle Hintergründe, auf denen ein Lichtpunkt, ein Schimmer, ein Fenster aufgeht. Und auch umgekehrt: Helle Gestalten werden von der Nacht verschlungen. Florian Pröttel hat es gereizt, die Schattenseiten der Geschichte herauszuarbeiten, die Kehrseite, mit der wir uns oft nicht so gerne konfrontieren. ...

Ein anderer Joseph, J. Beuys, hat den berühmten Satz getan: Jeder Mensch ist ein Künstler. Was kaum einer kennt, ist die wesentliche Fortsetzung dieses Satzes: ... wenn er sich mit sich selbst konfrontiert.
Florian Pröttel hat sich hier in diesen Bildern mit sich selbst konfrontiert, wie er mir erzählt hat, mit seiner Glückshaut, mit dem Sonnenschein, dem niemand Abgründe zutraut und dessen Schattenseiten keiner wahrnehmen will.
Was kann uns die Josephsgeschichte heute noch sagen? Vielleicht, dass Gott möchte, dass unser Leben gelingt. Dass wir unserem inneren Joseph vertrauen sollen, der seinen Weg schon findet. ... Dass wir unsere inneren Anfechtungen erkennen, uns mit ihnen konfrontieren und zuletzt aussöhnen sollen. ...

Ja, das könnte und möchte man in der Geschichte sehen. Und doch kommt sie ganz unaufdringlich und absichtslos daher wie ein Märchen, sie möchte nicht belehren. Ebensowenig wie Florian Pröttels Bilder. Ich wünsche Ihnen einen weichen Blick und ein warmes Herz beim Betrachten!